„Ich hätte es nur denken, aber nicht aussprechen sollen“
Und ewig lockt das Weib: Brigitte Bardot im Jahr 1959. Da fand sie sich eher hässlich Quelle: bpk | Ministère de la Culture - Médiathèque du Patrimoine, Dist. RMN-Grand Palais | Sam Lévin
Nach vielen Kurven und verwilderten Wegen taucht der Liebhaber auf. So nennt Brigitte Bardot ihr Anwesen La Garrigue in den Anhöhen über Saint-Tropez. Zuerst kommen die Hunde mit fröhlichem Gebell den Weg zum Tor ohne Namensschild hinauf, der Sandweg führt zu einem großen Grundstück mit zwei kleinen Häusern, eines für die Mitarbeiter, das andere der Liebhaber mit überwucherter Terrasse. Luxus ist hier nur der Grundstückspreis. Die Pflanzen wachsen, wie die Natur es will, lediglich die Rosen umgibt ein Zaun, damit keiner sie anknabbert, Hunde und Ponys spazieren umher, irgendwo sind auch Katzen, Vögel. Ein zauberhafter Ort der Freiheit, Brigitte Bardots Leben.
Sie ist viel zarter, als man sie von Fotos kennt, trägt ein praktisches schwarzes T-Shirt und Radlerhosen, irgendein Mitbewohner stupst ja immer mit der Schnauze, die hüftlangen Haare sind kunstvoll mit roten Plastikblumen hochgesteckt, sie hat viele Falten, Schmerzen in der Hüfte, aber wenn ihre Augen blitzen, ahnt man, dass die Männer nie eine Chance hatten. Den Besuch aus Deutschland begrüßt sie mit „Schtakelswein“ und lacht. „Mein kleines Stachelschwein“ habe Gunter Sachs immer zu ihr gesagt.
Wenn man sie nur aus dritter Hand kennt oder ihre Autobiografie „Tränen des Kampfes“ liest, die jetzt erscheint, erwartet man eine verbitterte, abweisende, etwas sonderbare Frau. An diesem sonnigen Sonntagnachmittag treffen wir eine reizende, eigensinnige, verletzte, enttäuschte ältere Dame mit trockenem Humor, die stets bereit ist, jeden Preis für ihre Überzeugungen zu zahlen. Mag das Haus auch alt und einfach sein, aus dem großen Kühlschrank in der chaotischen Küche holt sie zum Ende des langen Gesprächs Champagner. Allein wie sie das Wort mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme sagt!
ICONIST: Madame Bardot, Sie eröffnen Ihr Buch mit dem Satz: „Ich gehöre nicht zur menschlichen Gattung.“ Wie kommen Sie darauf?
Brigitte Bardot: Ich bin anders. Ich habe das Aussehen eines Menschen und die Seele eines Tieres. Ich merke das an der Art, wie ich die Dinge sehe, an den tiefen Gefühlen, die ich für Tiere und generell für schwache Lebewesen empfinde – für Dinge, die die Menschen verachten und die mein Leben sind.
ICONIST: Welchem Tier ähneln Sie?
Bardot: Allen. Ich trage etwas von jedem Tier in mir, vor allem von den Säugetieren. Von Hunden habe ich beispielsweise das Bedürfnis nach einem Heim, nach Stabilität im Leben.
ICONIST: Sie sind seit Jahrzehnten eine vehemente Tierschützerin, haben eine Stiftung gegründet und Hunderte Tiere gerettet. Was haben Sie in all diesen Jahren von den Vierbeinern gelernt?
Bardot: Alles: Weisheit, Geduld und die Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu leben. Tiere denken nicht an die Vergangenheit oder an die Zukunft, sie leben in der Gegenwart, ohne Fragen zu stellen.
BB 2018 mit den Interviewerinnen aus Deutschland auf ihrem Anwesen La Garrigue, auch „der Liebhaber“ genannt Quelle: -
ICONIST: Haben Sie auch immer im Jetzt gelebt?
Bardot: Immer! Ich denke nicht daran, was einmal war. An die Zukunft denke ich genauso wenig – zumal die in meinem Alter sehr überschaubar ist. Ich denke immer an den Augenblick. Deshalb bin ich in frohen Momenten außerordentlich glücklich– und in schlechten Momenten fürchterlich unglücklich.
ICONIST: Und was ist häufiger?
Bardot: Momentan bin ich nicht sehr froh. Bei allem, was ich während meiner Arbeit sehe, ist mein Alltag vor allem deprimierend, schwierig und hart.
ICONIST: Wie kommen Sie damit zurecht?
Bardot: Indem ich sehr stark bin.
ICONIST: Und woher haben Sie diese Kraft?
Bardot: Das weiß ich nicht. Aber ich wollte sie unbedingt, ich habe sie gezähmt, sie ergriffen. Ich habe mir einen Panzer zugelegt. Man darf nie Schwäche zeigen.
ICONIST: Für uns Frauen waren Sie immer die Starke, weil Sie so unabhängig von allen anderen schienen.
Bardot: Stimmt, die Meinungen anderer Leute können mir gestohlen bleiben. (lacht)
ICONIST: Sie schreiben sehr viel über Ihre Liebe zu den Tieren; die Liebe zu Menschen streifen Sie eher flüchtig und anekdotenhaft. Meist geht es dabei um Ihre leidenschaftlichen Affären. Glauben Sie, dass Menschen nicht zu so aufrichtiger Liebe fähig sind?
Bardot: Nein, das sind sie nicht. Die Tiere geben Ihnen alles, das Einzige, was sie besitzen, nämlich ihr Leben – und das schenken sie Ihnen. Sein Besitzer kann es verprügeln oder misshandeln – das Tier wird seinem Herrn dennoch nicht von der Seite weichen. Im Gegensatz zum Menschen ist das Tier bis zum Lebensende treu, was auch immer es ertragen muss.
ICONIST: Sie nennen Ihr Engagement einerseits einen Kampf, aber auf der anderen Seite scheinen Ihnen die Tiere eine gewisse Ruhe zu geben
Bardot: Ja, meine Tiere tun das – weil es ihnen gut geht. Aber wenn ich an all die anderen Tiere denke, die leiden müssen oder getötet werden … Gerade am heutigen Tag geht es mir sehr schlecht: Heute wurde im Süden Frankreichs die Jagdsaison eröffnet. Für mich ist das wie eine Kriegserklärung. Die Tiere haben kein Jagdgewehr, keine kugelsichere Weste, nichts. Was haben diese armen Wesen den Menschen denn getan? Wer immer auf ein Tier schießt, trifft mit seiner Kugel auch mich.
ICONIST: 1977 flogen Sie nach Kanada, um sich für den Schutz der Robbenbabys einzusetzen, und lösten dabei fast eine diplomatische Krise aus. Sie schrien vor laufenden Kameras „Canadiens, Assassins“ – Kanadier, Mörder.
Bardot: Ich kann Ihnen sagen: Ich habe in meinem Leben schon so viele Skandaleprovoziert, das ist für mich normal.
ICONIST: Auf jener Reise entstand eines der ikonischen Bilder von Ihnen, auf dem Sie ein Robbenbaby im Arm halten.
Bardot: Das war ein ganz außergewöhnlicher Moment. Etwas, das sonst nie geschieht, etwas vollkommen Einmaliges. Man hatte mich auf einer Eisscholle abgesetzt, zusammen mit einem Fotografen und einem Kameramann. Der Helikopter musste wieder abfliegen, er ließ uns allein dort zurück. Plötzlich standen wir am Ende der Welt, auf dem Packeis. Wenn man uns nicht wieder abgeholt hätte, wären wir verloren gewesen.
ICONIST: Was geschah dann?
Bardot: Wo wir hinschauten, war Blut: auf dem Schnee, auf dem Packeis, überall. Man vernahm kein einziges Geräusch, als seien wir in Baumwolle gepackt. Eine sehr ungewöhnliche Stille. Plötzlich erblickte ich dieses Robbenbaby – und konnte es in meine Arme nehmen. Das war magisch.
ICONIST: Was denken Sie heute, wenn Sie dieses Foto sehen?
Bardot: Wissen Sie: Ich verschicke die Fotos von mir und den Tieren darauf, aber ich kann nicht bei jedem einzelnen diese Gefühle wieder hervorkramen. Jetzt, wenn ich mit Ihnen darüber rede, ist diese Geschichte in mir sehr präsent. Die Emotionen sind alle wieder da. Ansonsten schaue ich mir aber generell keine Fotos von mir an. Ich will mich ja nicht den ganzen Tag selbst bewundern. Sie werden mir zugeschickt, damit ich sie signiere.
ICONIST: Bis Sie schließlich ein EU-weites Verbot für Importe von Robbenprodukten durchsetzen konnten, dauerte es 30 Jahre. Dieser 5. Mai 2009 war möglicherweise einer der größten Tage Ihrer zweiten Karriere als Tierschützerin. Bedeutet er Ihnen mehr als Ihre Erfolge als BB?
Bardot: Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Denn mit diesem Verbot habe ich Leben gerettet, verstehen Sie? Statt jährlich 300.000 Robben zu töten, werden jetzt vielleicht noch 100.000 im Jahr erlegt. Sie werden zwar noch in Länder wie Russland oder China exportiert, aber nicht mehr in die EU. Das hat das Grauen schon sehr reduziert. Aber ich habe so lange darauf gehofft, dass man keine Robben mehr töten würde – 30 Jahre lang, jeden Tag. Ich bin dafür sogar noch mal nach Kanada zurückgekehrt, als ich schon alt war, mitsamt meinen Krücken. Als dann der Tag endlich gekommen war, sagte ich nur „uff“ – ohne zu jubeln. Für mich war das ein Moment der Erleichterung, aber nicht der Freude.
ICONIST: Sie sagen, Sie seien eine Skandalfrau. Haben Sie sich mal gefragt, woran das liegt?
Bardot: Daran, dass ich kein Halten kenne. Ich gehe bis ans Ende mit dem, was ich haben will, und mit dem, was ich sage. Und ich habe die Courage, das zu sagen, wonach mir der Sinn steht. Außerdem kommt es vor, dass ich mich manchmal sehr schlecht benehme – trotz meiner sehr guten Erziehung. (lacht)
ICONIST: Gaben Ihnen Ihre Eltern diese Haltung mit?
Bardot: Nein, im Gegenteil. Ihr Lieblingskind war meine Schwester, die hübscher und braver war als ich. Meine Eltern haben mich nie so sehr gemocht wie sie. Und diesen Komplex habe ich immer beibehalten, mein Leben lang. Man sagte mir, ich sei schön, aber ich empfand das nicht so.
ICONIST: Und wann änderte sich das? Als Sie sich zum ersten Mal auf der Leinwand sahen?
Bardot: Nein. Erst jetzt, da diese Schönheit verschwunden ist, da alle darüber reden, denke ich mir: Mannomann, ich war verdammt noch mal doch gut geraten!
ICONIST: Aber Sie brauchen diese Schönheit nicht – im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, die, wenn sie so attraktiv waren, das Altern nicht ertragen.
Bardot: Da schlägt wieder die tierische Natur in mir durch – wenn ich älter werde, werde ich eben älter. Um mich um die Tiere zu kümmern, muss ich nicht besonders hübsch sein, sondern besonders effizient.
ICONIST: Aber ein bisschen eitel sind Sie schon noch, oder?
Bardot: Ich mag meine Füße und meine Ohren. Und meine Haare, die reichen mir bis über Hüfte, ich könnte mich draufsetzen. Deswegen stecke ich sie hoch. Diese Frisur kostet mich jeden Tag eine Viertelstunde!
ICONIST: Was verstehen Sie unter Erfolg?
Bardot: Erfolg ist mir egal. Ich will keinen Erfolg haben – nur durch das, was ich bewirke, aber nicht für mich selbst. Allerdings: Wenn ich etwas mache – sei es nun schauspielern oder Tiere schützen –, dann will ich auch, dass mir das gelingt. Und mir ist beides gelungen. Ich finde, das ist ziemlich gut.
ICONIST: Einer BB hört man zu – ob als Ikone oder als Aktivistin.
Bardot: Mag sein. Aber damals, als ich darüber sprach, stellte ich noch das Sexsymbol dar – und niemanden, der sich für Schlachthöfe interessiert. Die Leute dachten sich nur: Wovon redet die da eigentlich, und warum mischt sie sich in so etwas ein?
ICONIST: Mussten Sie sich auch vor Freunden und Schauspielkollegen für Ihr Engagement erklären?
Bardot: Ich rechtfertige mich nicht. Nie. Da gibt es nichts zu rechtfertigen. Stört es Sie, wenn ich rauche?
(Geht rein, zündet sich eine Zigarette an.)
ICONIST: Ähnlich radikal beendeten Sie auch Ihre Schauspielkarriere. Und um das Startkapital für Ihre Stiftung aufzutreiben, verkauften Sie im Frühjahr 1987 quasi Ihren gesamten Besitz auf dem Marktplatz von Saint-Tropez.
Bardot: Nicht ganz. Die wertvollsten Dinge wurden in Paris versteigert: das Kleid, das ich bei der Hochzeit mit Roger Vadim trug, der Schmuck von Gunter Sachs, die antiken Möbel meiner Eltern, die allererste Marianne-Büste, die meine Gesichtszüge trug, meine erste Gitarre, meine Filmroben.
ICONIST: Wie war das für Sie?
Bardot: Damals hätte ich weinen können. Aber es kam ja meiner Stiftung zugute; schließlich musste ich drei Millionen Franc aufbringen.
ICONIST: Tröstet es Sie, dass Ihnen die Erinnerungen niemand nehmen kann?
Bardot: Ich habe außergewöhnliche Sachen und Erinnerungen entrümpelt, die heute auf einem Speicher oder in einem Schrank verstauben würden. Stattdessen retten diese Sachen jetzt das Leben vieler Tiere. Ist doch viel besser, oder?
ICONIST: Stimmt es, dass Gunter Sachs damals den Diamantring zurückersteigerte, den er Ihnen zehn Jahre nach Ihrer Scheidung geschenkt hatte – weil, wie er sagte, ein Jahr mit Ihnen so viel wert sei wie zehn Jahre mit jeder anderen?
Bardot: Ja, das stimmt. Er hat diesen fantastischen Diamanten zurückgekauft, mir ihn dann aber auch nicht mehr zurückgegeben – weil er wusste, dass ich ihn dann gleich wieder weiterverkauft hätte. (lacht)
ICONIST: „Ich habe meine Jugend und Schönheit den Männern geschenkt, und nun schenke ich meine Weitsicht und Erfahrung den Tieren.“ Freut es Sie, dass solche Bonmots den Franzosen unvergesslich geblieben sind?
Bardot: Nicht nur den Franzosen! Die Deutschen lieben mich sehr – und schreiben mir enorm viel.
ICONIST: Kein Wunder: BB stand für etwas, was die deutschen Frauen nicht verkörperten. Sie gehörten zu diesem flirrenden Saint-Tropez, der Welt von Gunter Sachs. So etwas gab es damals in Deutschland einfach nicht.
Bardot: Weder in Deutschland noch sonst irgendwo, das stimmt. Deshalb habe ich auch diese Berühmtheit erlangt – weil es damals nichts Vergleichbares gab. Abgesehen vielleicht von Marilyn Monroe in den USA, aber sie war etwas anderes. Sie lief nicht barfuß herum, sie tanzte keinen Flamenco, ließ sich nicht die offenen Haare vom Wind zerzausen …
ICONIST: Haben Sie sie mal getroffen?
Bardot: Auf dem Damenklo. Nicht sehr passend für eine erste Begegnung. (lacht)
ICONIST: Wie kam das?
Bardot: Wir wurden damals der Königin von England vorgestellt. Weil ich mich wie immer hässlich fand, ging ich auf die Toilette, um einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen – ging so –, und da sah ich, wie Marilyn hereinkam. Ich war damals sehr jung. Sie rief mir zu: „Hello!“ Und ich echote: „’Ello!“ Ich war überwältigt. Ich hatte Marilyn gesehen!
Ehemann Nummer drei: Der Herr im Hintergrund ist der Deutsche Gunter Sachs, der ansonsten auch als Kunstsammler und Astrologe auffiel Quelle: Getty Images/George Stroud
ICONIST: Ein Grund, weshalb Sie in Deutschland so beliebt sind, ist auch Ihre Ehe mit Gunter Sachs. Wie haben Sie die Zeit mit ihm erlebt?
Bardot: Wie ein Märchen: sehr kurz – aber wunderschön.
ICONIST: Wie fanden Sie es, dass er aus dem Helikopter Aberhunderte Rosen über Ihrem Anwesen hier in Saint-Tropez abwarf, um Sie zu umwerben?
Bardot: Saublöd, weil ich auf allen vieren herumkriechen und all diese Blumen wieder einsammeln musste, die zu allen Seiten herabfielen. Sie hingen überall, sogar in den Bäumen. Das hat mich den ganzen Tag gekostet! Aber es war auch lustig und toll. Gunter war einzigartig.
ICONIST: Sie werden als schwierig bezeichnet. Woher kommt das?
Bardot: Das liegt daran, dass ich heutzutage abgeschieden von der Welt lebe, weit weg von den Leuten. Ich war ihretwegen zu unglücklich. Ich bin oft hintergangen worden, von Freunden, von meinem Sekretär, der Dinge aus meinem Privatleben veröffentlicht hat, von Journalisten, und auch in der Liebe. Ich bin sehr naiv und glaube alles, was man mir sagt. Also habe ich einen Schutzwall errichtet, lebe ganz zurückgezogen mit meinen Tieren, meinem Ehemann, meinen beiden Wärtern – hier und in La Madrague – und mit den Mitarbeitern meiner Stiftung.
ICONIST: La Madrague ist Ihr legendäres Haus am Meer seit 1958. Was unterscheidet es von La Garrigue, wo wir uns heute treffen?
Bardot: Ganz einfach: La Madrague ist mein Ehemann, und La Garrigue ist mein Liebhaber. Ich schlafe in La Madrague, aber tagsüber betrüge ich diesen Ehemann mit La Garrigue.
ICONIST: Wenn man durch Saint-Tropez spaziert, begegnet man BB auf Schritt und Tritt.
Bardot: Ich gehe dort nicht mehr hin. Niemals.
ICONIST: Sie wissen aber, dass Ihr Porträt nahezu überall hängt? Man verkauft sogar Handtaschen mit Ihrem Foto darauf.
Bardot: Mir ist das egal. Wichtig ist nur, dass ich einen Vertrag mit einem Modehaus habe, die Kollektionen unter meinem Namen entwerfen – von irgendetwas muss ich schließlich auch leben. Ich schaue mir diese Kollektionen allerdings nie an.
ICONIST: Die Zeit zwischen Mitte der 70er- und Mitte der 80er-Jahre war die härteste in Ihrem Leben: Sie litten an Brustkrebs, hatten Depressionen, wollten sich umbringen. Was hat Sie damals gerettet?
Bardot: Ich wollte meinen Tieren nicht zeigen, dass ich krank war. Also habe ich mich ihnen gegenüber wie immer verhalten. Damals war ich allein, ich hatte keinen Weggefährten – keinen Ehemann, keinen Verlobten, keinen Liebhaber, niemanden. Das war sehr schwer.
ICONIST: Sie schreiben, dass Sie diese Jahre als Prüfung betrachten, nach all den wunderbaren, exzessiven Jahren, die Sie als junge Frau erlebten. Meinen Sie das spirituell, als eine Prüfung Gottes?
Bardot: Das war ein Übergang – wie eine Art Berufung. Nicht durch Gott, aber durch die Tiere.
ICONIST: Woran glauben Sie?
Bardot: An Gott eher nicht, aber sehr wohl an die Jungfrau Maria. Ich habe ihr hier oben eine ganz kleine Kapelle errichten lassen. Sie hat mich im Leben beschützt und mir Kraft gegeben.
ICONIST: Wenn Sie eine Botschaft zu verkünden hätten, welche wäre das?
Bardot: Man sollte nicht daran glauben, dass die Politik oder die Religion das eigene Leben regeln werden. Jeder und jede muss ihren Weg für sich finden und einen Sinn in seinem oder ihrem Leben finden. Wir leben nicht, um den Tod abzuwarten. Wir sind hier, um eine Spur zu hinterlassen, um etwas zu bewirken. Selbst wenn es nur eine Kleinigkeit ist.
ICONIST: Nach der schweren Geburt litten Sie sehr darunter, Ihrem Sohn Nicolas nicht die Mutter zu sein, die Sie gern gewesen wären. Wie kann es sein, dass Sie sich derart für schwache Tiere einsetzen, aber den eigenen Sohn weggaben?
Bardot: Ich war damals völlig aus dem Gleichgewicht gebracht: von meinem Schauspielberuf, von den Fotografen, die mich belagerten, von meinen Liebhabern und Ehemännern, die häufig wechselten. Ich konnte wegen der Fotografen nicht einmal im Krankenhaus gebären. Ich war ein zutiefst aufgewühltes Mädchen, das seine Mama gebraucht hätte. Ich war nicht in der Lage, selbst Mama zu sein.
(Ihr Mann Bernard zeigt ein Foto auf dem iPad, aufgenommen auf der Terrasse von La Garrigue: Brigitte Bardot, die ihre Arme um ein etwa fünfjähriges, flachsblondes Mädchen schlingt. Beide strahlen.)
ICONIST: Ist das Ihre Enkelin?
Bardot: Meine Urenkelin! Mein Sohn kommt jedes Jahr mit seiner norwegischen Ehefrau und seinen beiden Töchtern zu Besuch, die wiederum selbst schon Töchter haben. Eine meiner Enkelinnen hat extra Französisch gelernt, um sich mit mir unterhalten zu können. Das war bezaubernd.
ICONIST: Es gibt diesen schrecklichen Satz von Ihnen: „Ich hätte lieber einen Hund entbunden.“
Bardot: Das hätte ich besser nicht gesagt. Ich hätte es nur denken, aber nicht aussprechen sollen.
ICONIST: Gibt es noch mehr, was Sie heute bereuen? Etwa Ihre Äußerungen, deretwegen Sie vor Gericht mehrfach wegen Rassenhass zu Geldstrafen verurteiltworden sind?
Bardot: Nein. Ich stehe zu allem, was ich sage. Manchmal mache ich Fehler, aber auch dazu stehe ich.
ICONIST: Sie äußern sich nicht nur politisch, sondern haben in den vergangenen Jahren auch massiv auf die Politik eingewirkt. Ist Ihnen je in den Sinn gekommen, eine Tierschutzpartei zu gründen?
Bardot: (schaut entsetzt) O nein! Nein, nein, nein.
ICONIST: Weil es leichter ist, die Politik von außen zu kritisieren, als selbst ein Teil davon zu sein?
Bardot: Nein. Aber in der Politik ist man verpflichtet, sich in Einzelheiten zu ergehen und zu reden und zu überzeugen. Ich, Brigitte Bardot, habe keinerlei Macht. Ich kann kein Gesetz verabschieden und nichts verändern.
ICONIST: Da wären wir uns nicht so sicher, bei allem, was Sie für die Emanzipation getan haben.
Bardot: Jede Frau emanzipiert sich selbst und tut, was sie will. Ich habe mich emanzipiert, und die anderen können das auch – aber ich bin nicht Teil einer Bewegung.
ICONIST: Glauben Sie, dass es heutzutage schwieriger ist, Frau zu sein, als in den 50er- oder 60er-Jahren?
Bardot: Auf jeden Fall macht es weniger Spaß und ist sicherlich weniger lustig. Denn damals durften sich die Frauen amüsieren, sie hatten mehr Freiheiten. Wir konnten Auto fahren, ohne uns anzuschnallen, und Motorrad fahren ohne Helm, wir konnten Sex ohne Kondome haben. Lauter Dinge, die man heute nicht mehr machen kann. Wir haben eine großartige Zeit erlebt. Und heute ist es uninteressant und trist, man darf gar nichts mehr – nicht mal mehr rauchen.
ICONIST: Dafür gibt es ganz neue Möglichkeiten, etwa die sozialen Netzwerke, in denen Sie auch aktiv sind.
Bardot: Ja, aber das bin nicht ich persönlich – Bernard macht das alles für mich. Ich selbst besitze kein Handy und keinen Computer. Ich schreibe alles von Hand. Ich bin noch sehr 20. Jahrhundert.
ICONIST: Schlägt Ihnen eigentlich auch Hass entgegen?
Bardot: Als ich noch Schauspielerin war, erhielt ich sehr wohl Drohbriefe – und was für welche. Aber mittlerweile ist trotz all der Post, die mich erreicht, kein einziger böser Brief mehr dabei. Sicher: Wenn die Jäger mich abknallen dürften, würden sie das tun, aber ich erhalte nie Schmähschriften. Dafür aber lauter wunderbare Zeilen, übrigens sehr viele davon von Frauen – nicht nur von Männern.
ICONIST: 2013 haben Sie öffentlich damit gedroht, wie Gérard Depardieu die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen, um zwei Elefanten vor der Einschläferung zu retten. Kann es sein, dass Sie auch im Alter gar nicht daran denken, sanftmütiger aufzutreten?
Bardot: Absolut nicht. Abgesehen davon war das einfach ein Coup, ein Taschenspielertrick: Na schön, dann werde ich eben auch Russin!
ICONIST: Könnten Sie sich denn vorstellen, jemals woanders als hier zu leben?
Bardot: Ich bin aus tiefstem Herzen Französin. Aber wenn ich sehe, was aus Frankreich wird, schäme ich mich ein bisschen. Das heutige Frankreich gefällt mir überhaupt nicht mehr. Das Land hat sich sehr verändert, ein Land, dessen Gesicht ich als Marianne bin. Ich habe mich auch verändert, aber ich halte an der Ehre meines Landes fest, und die verliert Frankreich gerade. Seine Ehre, seine Stärke, seine Schönheit, seine Eleganz.
ICONIST: Ihr jüngstes Buch soll, so schreiben Sie, Ihr Vermächtnis sein. Sind Sie des Kampfes müde?
Bardot: Ja, müde davon, nichts zu bewirken. Ich bin entmutigt, verzagt, traurig. Aber ich mache weiter.
ICONIST: Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht?
Bardot: Es gibt immer Hoffnung. Immer.
ICONIST: Camus schreibt über Sisyphos und dessen endlosen Kampf gegen den herabrollenden Felsen: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Sind Sie glücklich?
Bardot: Ganz und gar nicht. Ich bin weise, auf eine spirituelle Art, ich versuche, mich auf die schönen Dinge zu konzentrieren, Kraft aus der Natur zu schöpfen, damit ich mich weiter meinem Kampf widmen kann. Aber glücklich bin ich nicht.
rigitte Bardot Schauspielerin, 83: Mit 15 begann die gebürtige Pariserin zu modeln, Anfang zwanzig gab sie ihr Filmdebüt als frivoles Mädchen. 1956 gelang Bardot der Durchbruch in „Und immer lockt das Weib“ . 1974 quittierte sie den Schauspielerinnendienst und kümmert sich seither um den Tierschutz. 1952 heiratete sie das erste Mal, mit Mann Nummer zwei bekam sie den einzigen Sohn, Nummer drei war Gunter Sachs. 1992 ehelichte sie Nummer vier, den Industriellen Bernard D‘Ormale. Mit ihm lebt sie zurückgezogen in Saint-Tropez. Ihre Autobiografie „Tränen des Kampfes“ ist bei Nagel & Kimche erschienen.